Fast einen ganzen Tag lang lässt er mich warten. Ich vertreibe mir die Zeit Kaffee trinkend, lesend, durch die kleine, ansehnliche Stadt bummelnd, bis endlich das ersehnte SMS aufblinkt. Der Meister wäre nun bereit, mich zu empfangen. Manchmal zahlt sich Hartnäckigkeit wirklich aus! Obwohl, ein bissl mulmig ist mir schon zumute, denn unsere Welten sind – gelinde gesagt – mehr als verschieden.
Sein Sekretär Jean öffnet mir persönlich das schwere Holztor. Während wir die steile, schmale Stiege in den 1. Stock zum Arbeitszimmer hinaufgehen, bekomme ich noch ein paar Verhaltensregeln mit auf den Weg. Ich möge dem Meister vor allem nicht widersprechen und ich möge auch die gebotene Demut an den Tag legen, ob der mir erwiesenen Ehre. Ich verspreche alles, nicht ohne hinter meinem Rücken die Finger zu kreuzen.
Jean klopft an die Tür und öffnet sie, ohne auf Antwort zu warten. Es ist dämmrig im Raum, vor dem einzigen Fenster erkenne ich seine Umrisse. Langsam dreht er sich um und kommt auf mich zu. Er ist kleiner, als ich erwartet hatte, aber ist das nicht oft so, bei berühmten Persönlichkeiten? Außerdem wirkt er ein wenig verschrumpelt, aber das ist ja auch kein Wunder. Nachdem er mich nur schweigend betrachtet, beginne ich mutig das Gespräch.
S: Grüß Gott, Herr Nostradamus, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich nehmen [wie platt klingt das denn jetzt??? Fällt mir wirklich nichts Besseres ein?!]
N: …
S: Ich weiß natürlich, dass Sie nur sehr selten Gäste empfangen und empfinde es als große Ehre, dass ich heute mit Ihnen sprechen darf.
N: …
S: [Na super, der mag mich nicht, was sag ich jetzt nur?? Gut, da hilft nur die Flucht nach vorne, Provokation ist angesagt.] Stimmt es, verehrter Meister, dass Sie Ihr Medizinstudium gar nicht beendet haben?
N: Sie haben ja keine Ahnung, wovon Sie sprechen!
S: [Juhuu, der Bahn ist gebrochen! Er spricht!] Ich weiß, dass die Zeiten schwierig waren.
N: Das ist ziemlich euphemistisch ausgedrückt. Woher beziehen Sie Ihr Wissen? Wikipedia, richtig? Sie langweilen mich unendlich. Machen wir es kurz, damit ich Sie schnell wieder los bin. Sie dürfen mir drei Fragen stellen und dann gehen Sie wieder dorthin, wo Sie hergekommen sind.
S: [Eingebildeter, alter Lackel, aber bitte…] Sie haben Ihre Prophezeiungen nicht in der damaligen Wissenschaftssprache Latein verfasst, sondern auf Französisch. Warum?
N: Ich habe schon geahnt, dass Latein irgendwann nicht einmal mehr die Sprache der Gelehrten sein würde. Mit Französisch war ich auf der sicheren Seite. So kann auch noch im 21. Jahrhundert jeder fröhlich an meinen Vorhersagen heruminterpretieren, hätte ich Latein verwendet, wäre ich längst vergessen.
S: Sie waren ja unglaublich vielseitig. Arzt, Apotheker, Astronom, Astrologe. Haben Sie eine besondere Beziehung zum Buchstaben „A“?
N: [Plötzlich wirkt er nicht mehr so gelangweilt!] Interessant. Sehr interessant. Ich werde mich diesem Thema in den nächsten 200 Jahren widmen. Ihre dritte und letzte Frage bitte.
S: Das ist jetzt aber ziemlich gemein. Ich bekomme keine Antwort, also kann die Frage auch nicht als solche zählen. [Hoffentlich schmeißt er mich jetzt nicht hinaus.]
N: Sie haben recht, auch wenn ich das nicht gerne zugebe. Wollen wir uns nicht setzen?
Er deutet auf zwei unbequem aussehende Holzstühle, während es sich Jean in sicherer Entfernung gemütlich gemacht hat.

S: [Pffff…..] Gut, dann komme ich jetzt zur 2. Frage. Ihre Kosmetiklinie war ausnehmend erfolgreich. Die Medici-Damen liebten Ihre Cremes! Würden Sie mir bitte die Rezepte geben, Sie können ja doch nichts mehr damit anfangen?
N: [lacht] Sie sind ja wirklich erfrischend. Sonst fragen immer alle Besucher nach meinen Prophezeiungen und wollen meinen Blick in die Zukunft, das nervt ziemlich. Immer dasselbe Thema, seit hunderten von Jahren. An meine Kosmetik habe ich sicher seit 1850 nicht mehr gedacht. Ja, das war richtig gut und es hat mir auch Spaß gemacht, die Damen sind mir die Türen eingerannt. Sie haben Recht, ich brauche die Rezepte wirklich nicht mehr, Sie können sie haben!
Ich kann mein Glück kaum fassen. Nostradamus geht tatsächlich zu seinem Schreibtisch, nimmt die Feder zur Hand und beginnt mit seinen Aufzeichnungen.

In meinen Gedanken beginne ich bereits von Website, Label, Marketingstrategien zu phantasieren und sehe schon das Geschäft in der Herrengasse vor mir, da reißt Nostradamus mich aus meinen Tagträumen.
N: So, ich wäre fertig. Machen Sie was draus, junge Dame! Und jetzt bitte Ihre 3. und letzte Frage.
S: [Ich lieeeebe ihn!] Bitte verzeihen Sie mir, Herr Nostradamus, aber ich würde doch noch gerne eine Frage zu Ihren Prophezeiungen stellen. Nächste Woche ist in Österreich Nationalratswahl. Was wird am Wahlabend passieren?
N: [seufzt, stützt die Arme am Schreibtisch auf, legt die Hände an die Schläfen und runzelt konzentriert die Stirn.] Ich sehe Armin Fuchs, nein: Wolf, er stellt viele Fragen an die SpitzenkandidatInnen. Und ich prophezeie, dass alle Antworten ungefähr folgendermaßen beginnen werden: „Wir bedanken uns bei unseren Wählerinnen und Wählern…“
Er beginnt zu zittern, lässt Arme und Kopf auf den Schreibtisch sinken und ich spüre, dass er jetzt Ruhe braucht, meine letzte Frage war wohl zu viel für ihn. Kurz lege ich meine Hand auf seine Schulter, bevor ich mich mit einem Blick in Richtung Jean zurückziehe. Dieser versteht sofort und geleitet mich zum Tor. Sorgfältig verstaue ich die Rezepte in meinem Rucksack und trete hinaus in die Spätsommersonne der Provence. Danke, Herr Nostradamus, es war mir eine Ehre und ein Vergnügen, Sie kennengelernt zu haben!
uff, das war aber knapp am exitus vorbei, mit deiner letzte frage …
hast schon einen namen für deine kosmetiklinie? nostrodamia?
Nostradama tät mir gefallen 👑
ha, ha, wie wärs mit nostradrama 🙂