6., 7. und 8. Fensterl: Adventkalender-Stoßlüften quasi

Bei den von mir so hochgelobten Papieradventkalendern war es noch nicht so verlockend, mehrere Fenster heimlich im Voraus zu öffnen. Außer beim 24., da konnte ich schon als Kind nie widerstehen, musste hineinspähen, um das Doppelfenster dann vorsichtig und sorgfältig wieder zu schließen. Mit dem Einzug von Milka und Co war es mit meiner Selbstbeherrschung nicht so weit her. Der Rekord: Leergefressen in 10 Minuten.

Heute geht`s in die verkehrte Richtung. Wir öffnen die Fensterln nachträglich, dafür mit einer ganz langen Geschichte, die mit der letztens kurz angedeuteten Ich-fürchte-mich-vor-dem-Krampus-Traumatherapie zu tun hat. Denn andeuten und dann nix dazu sagen, geht nicht. Ich wurde dafür geschimpft und das mit Recht.

Es war irgendwann in den 1980er Jahren, ich war mitten im Studium und permanent pleite, d.h. immer auf der Suche nach kreativen Möglichkeiten, mir ein paar Schillinge dazu zu verdienen. Es gab damals in Graz eine Vermittlungsagentur für Nikoläuse und Krampusse, bei der ich mich mutig bewarb. Tatsächlich wurde ich zu einem Casting eingeladen, das damals noch Vorstellungsgespräch hieß. Man begutachtete mich von oben bis unten und stellte fest, dass ich aufgrund meiner Körpergröße als Nikolaus ungeeignet sei, aber als Krampus wäre ich gerne engagiert.

So erschien ich denn am 5. Dezember am Nachmittag, um gleich den ersten Schock zu bekommen. Glaubt mir, so ein großer Raum, voll mit Nikoläusen und Krampussen hat etwas sehr Schräges, alle meine alten Ängste meldeten sich sofort zu Wort. Allerdings blieb mir nicht viel Zeit zum Denken, mein mir zugeteilter Nikolo wartete nämlich schon auf mich, also nichts wie hinein mit mir in das dicke, schwarze Fell. Maske auf, die Rute dazu und am Ende bekam ich noch eine ziemlich schwere Kette zum Rasseln in die schwarz behandschuhten Hände gedrückt.

Auf unserer Liste standen etliche Termine, an einige davon kann ich mich sehr gut erinnern. Allesamt Momentaufnahmen einer Sozialstudie.

Heile, kleine Welt
Eine winzige Wohnung in einem alten Grazer Bürgerhaus ist unser erstes Ziel. Es duftet nach Weihnachten und die Familie hat sich um den festlich geschmückten Wohnzimmertisch versammelt. Drei Kinder sehen uns mit großen, im Schein der Adventkranzkerze leuchtenden, aber auch ein wenig ängstlichen Augen an. Ich versuche, mich so gut wie möglich hinter meinem zum Glück ziemlich großen Nikolaus zu verstecken und halte die Kette ganz fest, damit sie ja nicht rasselt. Meine Anwesenheit ist mir einfach nur peinlich, ich will lieb sein und nicht das personifizierte Böse (erspart mir jetzt bitte alle Kommentare zu meiner Persönlichkeit:-)! Das hätte ich mir vorher überlegen sollen, jetzt muss ich irgendwie zurechtkommen. Aber dann ist alles wie bei Peter Rossegger. Jedes Kind sagt ein kleines Gedicht auf, wir singen gemeinsam ein Weihnachtslied und der Nikolaus liest aus seinem Buch. Der Text, den die Eltern vorbereitet haben, ist liebevoll und kommt ohne Geschimpfe aus. Die roten Sackerln werden verteilt, für uns gibt es ein Glas Wein, ein ansehnliches, unerwartetes Trinkgeld und schon sind wir wieder draußen in der Kälte.

Irgendwo in der Gegend von Autal
Auf einem künstlichen Hügelchen prangt ein Bungalow mit einer Auffahrt á la Dallas. Das Tor öffnet sich automatisch und der Versuch, einen gutbürgerlichen Eindruck zu erwecken, glitzert aus allen Ecken und Enden. Als wir klingeln, springt die Haustür von alleine auf, aber niemand kommt, um uns zu begrüßen. Wir gehen forsch hinein, klettern über den in der Diele quer liegenden Staubsauger und folgen der Geräuschkulisse in Richtung Wohnzimmer. Eine Frau winkt uns in den Raum, ohne den Telefonhörer aus der Hand zu legen, vor dem Fernseher sitzt ein frühpubertäres Monster, das sich nicht im Geringsten für den hohen Besuch interessiert. Das Gespräch der Dame des Hauses nimmt an Lautstärke zu, offenbar diskutiert sie mit ihrem zweiten Sohn, der schon längst daheim sein sollte. Wir stehen rat- und hilflos herum, in der überhitzten Umgebung beginne ich unter meiner Kostümierung zu schwitzen. Auch auf der Stirn des Nikolauses zeigen sich die ersten Schweißperlen. Nach gefühlten 20 Minuten wirft die Mutter enerviert den Hörer auf die Gabel (an meine jungen LeserInnen: damit ist nicht gemeint, dass sie ihren Zuhörer in der Bestecklade deponiert!) und schenkt uns endlich ihre Aufmerksamkeit. „Es tut mir leid, Sie können wieder gehen. Ich gebe auf. Sollen doch alle machen, was sie wollen.“ Wir sind froh, davongekommen zu sein, hier aus dem Buch zu lesen, wäre absurd gewesen, außerdem ist unser Zeitplan gedrängt.

Wieder eine Wohnung in Graz
Der strahlende Vater öffnet uns die Tür zu einem Vorraum, dem man ansieht, dass hier Kinder leben. Viele kleine Schuhe, eine niedrig montierte, bunte Garderobe, Spielsachen liegen herum. Der Mann gibt Niko viele Packerln für seinen Sack und den üblichen Zettel für das große Buch. Dann führt er uns … ins Kinderzimmer, wo seine Frau mit einem ca. 4jährigen Buben am Bett sitzt. Als ich sehe, wie klein der Kerl noch ist, bin ich mit einem Satz nach hinten wieder draußen in der Diele und höre mir alles Weitere außer Sichtweite an. Es wundert mich, dass ein Krampus bestellt worden war. Der Nikolaus beginnt, seinen Text zu lesen und – wie zu erwarten war – ertönt eine Lobeshymne auf das bravste aller Kinder. Aber dann kommt das dicke Ende. Ich merke an Nikos Stimme, dass etwas schief läuft. Er liest, was für eine gute Mutter die Frau doch sei, allerdings möge sie sich nicht soviel – ich weiß es noch wörtlich – mit anderen Männern herumtreiben und es mit der Treue genauer nehmen! Der Krampus möge hereinkommen und seines Amtes walten. Niko bricht sofort ab, als er die Schweinerei endlich überlupft, aber der Schaden ist bereits angerichtet. Die Frau weint laut, das Kind heult aus Solidarität mit und wir beide verlassen fluchtartig die ungastliche Stätte

Es war der letzte Termin auf unserer Liste gewesen. Schweigend steigen wir ins Auto und fahren in Richtung Agentur, ganz in Gedanken darüber, was Menschen sich gegenseitig antun können, als uns ein am Straßenrand stehender, heftig gestikulierender Mann auffällt. Niko hält natürlich sofort an, in der Meinung, es handle sich um einen Notfall. Was es, wie sich herausstellen sollte, in gewisser Weise ja auch war.
Der Mann fragt, ob wir zufällig Zeit hätten, er bräuchte uns ganz dringend. Dann erzählt er uns seine Geschichte:
„Ich war auf Dienstreise und hätte eigentlich erst morgen zurückkommen sollen. Wissen Sie, ich arbeite für einen großen Konzern, mit vielen Reisen und wenig Zeit für meine Familie. Als ich gestern Abend in London allein im Hotelzimmer gesessen bin, habe ich mich plötzlich gefragt, was ich hier eigentlich zu suchen habe. Langweilige Meetings, fremde Menschen, noch mehr Geld, öde Verhandlungen, nichts als Arbeit. Wofür eigentlich? In Graz sind meine Lieben und ihr Leben geht an mir vorbei. Da habe ich meinen Flug umgebucht, heute Vormittag noch ein paar Geschenke gekauft und Euch hat der Himmel geschickt. Jetzt ist meine Überraschung perfekt!“
Nach der Erfahrung von vorhin breche ich fast in Panik aus. Wenn das nur gut geht! Aber wir können natürlich nicht anders und erfüllen dem Geläuterten seinen Wunsch. So viel Freude, laute, helle, ehrliche Freude mit Tränen, die in Strömen fließen! Seine Überraschung ist mehr als gelungen. Und am Ende stehen ein glücklicher Nikolaus und ein glücklicher Krampus am Jakominiplatz beim Würstlstand und belohnen sich mit einem Hot Dog und einem großen Bier.

Das war die Geschichte meines ersten und letzten Engagements im schwarzen Pelz mit Rasselkette. Die Adjustierung kann ich mir schon noch vorstellen, aber der Pelz müsste in Mantelform (als Kunstfaser, eh klar) daherkommen und die Rasselkette darf bitteschön aus dem Schaufenster vom Schullin stammen.

Noch ein kurzer Ausblick:
Knecht Ruprecht hat mir geschrieben, dass er meine Einladung annimmt. Dieser Tage hätte er allerdings gerade wenig Zeit. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es so mühsam werden würde, alle Betroffenen an einen Tisch zu bekommen, um die neueste Vorgabe der EU offen zu diskutieren. Die einfachste Lösung wäre Doodle gewesen, aber hier wurde schon meine erste zarte Anfrage sehr unwirsch abgeschmettert. Außer dem Christkind geht hier anscheinend niemand mit der Zeit! Ich halte Euch auf dem Laufenden.

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