Es fliegt, es fliegt, es fliegt … ein…

Brütendheiße Großstadttage (ja, ich weiß eh, aber sagma halt so) verleiten auch bergscheue Wesen wie mich zu Ausflügen in luftige Höhen. Nahe liegt der Grazer Hausberg, Schöckl oder seltener auch Schöckel genannt, mein Berg 1. Wahl, denn er schmückt sich mit einer technischen Aufstiegshilfe, Gondel genannt.

Nun ist es ja so, dass ich unter Flugangst leide (bitte nicht weitersagen, ist ein bissl peinlich). Dazu gehört fast jede Art der Fortbewegung, bei der meine Füße festen Boden verlassen müssen und mein Körper in eine Höhe befördert wird, die die Zweimetermarke – also die maximal ungefährliche Absturzposition – überschreitet. Das Betreten einer Gondel oder das Besitzen eines Sessellifts fällt also definitiv in die Kategorie Flugangst, der ich mich aber tapfer stelle, wenn die Alternativen schlicht und ergreifend zu anstrengend sind. Schöcklbesteigung bei 35° im Schatten kommt genau so wenig in Frage, wie mit Skiern einen Berg HINAUF zu gehen. Weil schließlich will ich ja nur HINUNTER fahren und außerdem weiß eh jeder, wie gefährlich Skitouren sind.

Komm auf den Punkt, Sabine. Wenn ich noch wüßte…? Genau: ich wollte Abkühlung und nahm daher den Bus nach St. Radegund, um von dort aus den Schöckl heimzusuchen. In diesen Bus stieg – auf Höhe LKH – ein perfekt wandermäßig gestylter Mann ein, der nicht dem gängigen Bild eines Busbenutzers entsprach, sondern eher dem eines frisch dem Tourismus-Werbeprospekt entsprungenen Bergfex. Sein wirklich abartig großer Rucksack löste in mir allerlei Phantasien aus. Jakobsweg? Aber der ist doch eher in der Obersteiermark, oder? Weitwanderer? Vielleicht hatte er einen Unfall, ist im Krankenhaus gelandet und kann nun gesundet weitermarschieren? Als ich dann an der Talstation noch mehrere solche Monsterrucksackmänner herumwuseln sah, fiel der Groschen. Paragleiter! Der wandelnde, oder besser fliegende Alptraum für mich. Wie kann man nur so leichtsinnig mit seinem Leben umgehen? Ein wenig Stoff, mit dem Körper irgendwie verbunden, soll reichen, durch die Lüfte zu schweben?

Ich beschloss, mir diesen Wahnsinn aus der Nähe anzusehen und stapfte dem Rucksackrudel hinterher zum Abflugplatz, der bevölkert war wie eine innerstädtische Eisdiele während der laufenden Hundstage. Lauter hoffnungsvolle meist junge Männer und einige wenige sehr junge Frauen, stürzten sich mithilfe des böigen Windes über eine steile Wiese in den überraschenderweise bewölkten Himmel. Auch zwei Tandemflieger waren dabei. Ich ging in mich um zu überlegen, für wie viel Geld ich für so etwas Gewagtes zu haben wäre. 25.000,- Euro müsste man mir geben, dann würde ich mit dem Leben abschließen und springen. Eigentlich arg, wie wenig mir mein Leben wert ist :-).

Manche Schirme waren schon Minuten nach dem Start kaum mehr zu sehen, weil entweder so hoch oben oder so weit weg. Meine Adrenalinschübe bei jedem einzelnen Manöver waren grausam, ich googelte „Erste Hilfe bei Unfällen mit Paragleitern“ und bekam als Ergebnis eine veritable Liste mit Absturzberichten. Mit zitternden Knien ließ ich mich auf einem Felsen nieder und beschloss, so lange zu bleiben, bis ich verstand, was ich sah.

Thema: Stricke. Es ist ein unvorstellbares Geknäuel und Gewurschtel, das die Flugwilligen aus ihren Rucksäcken kramen.

Ich muss zugeben, dass es beindruckend war, dabei zuzusehen, wie in ganz großer Ruhe entwirrt, geschlichtet und zurechtgezupft wurde. Langsam klärte sich auch das Rätsel, wie der Schirm samt Stricken mit dem Körper verbunden wird. Man steigt in so eine Art Gestell, wobei ein sehr seltsam aussehender halberter Schlafsack hinter dem Köper leer nach unten und ein Notschirm in einem kleinen Rucksack oben am Rücken hängen. Vor der Brust hatte mein Beobachtungssubjekt ein kleines Cockpit, darauf montiert ein Handy und irgendwelche beeindruckenden anderen elektronischen Kasterln. Und überall baumeln Karabiner, in denen die Stricke befestigt werden. Dann begibt man sich aus der Vorbereitungsposition vor zum Start. Der Schirm wird schön ausgebreitet und es beginnt das Warten auf die richtigen Windverhältnisse. Dabei standen die meisten mit dem Rücken zum Abgrund und für mich sahen die Stricke noch immer nicht vertrauenswürdig aus. Plötzlich eine Drehung, ein paar Schritte schon fast ins Leere und…. er fliegt! Jetzt erschließt sich auch die Sinnhaftigkeit des halben Schlafsacks, in den sich der Flieger nämlich hineinlegt. Das sieht dann direkt sehr gemütlich aus, dient aber, wie ich später erfahren sollte (siehe unten), ausschließlich dazu, den Reibungswiderstand zu minimieren.

Nach gut einer Stunde mache ich mich auf den Weg in Richtung Tal – mit dem Gefühl, etwas gelernt zu haben und nicht wissend, dass mir im Bus nach Hause mein Monsterrucksackmann von in der Früh eine Nachhilfestunde in Sachen Flugtheorie geben würde. Nun weiß ich, dass Thermik am Gras festkleben kann und das finde ich doch ziemlich erstaunlich, dass ich ohne dieses essentielle Wissen so alt werden konnte. Daraus resultiert ein Vorhaben für meinen Urlaub: in Kleinkirchheim das Gras am Waldrand nach festklebender Thermik absuchen. Bericht folgt. Versprochen.

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