1. Fensterl: Am Platz

Der Wettlauf um die schönsten Adventkränze geht in die Endrunde. Es ist sieben Uhr in der Früh und der Platz* rüstet sich für den Ansturm der Kaufwilligen, zwischen den Ständen mit Wintergemüse, Kernöl, Brot, Honig, Geflügel und Eiern ist ungewöhnlich viel Grün zu sehen.

Gotthard hat seine zwei Tische schon fertig aufgebaut, auf der einen Seite prangen die Kränze, auf der anderen eine Reihe von kleineren und größeren weihnachtlichen Gestecken und Dekorationen, auch nackerte Reisigringe (Reisig=Tannengrün) zum Selberschmücken gibt es im Sortiment. Zweieinhalb Wochen brauchen er und seine Frau – die ihm nur „nebenbei“ helfen kann – für die Herstellung der ca. 400 Kränze. Auch wenn sie viele verschiedene Kerzenfarben verwenden: rot ist die Farbe der Farben. Das gilt auch für die Allerheiligengestecke, rot geht immer. Gibt es eigentlich Stammkundschaft? Bei den Adventkränzen nicht so sehr, aber zu Allerheiligen und bei den Bäumchen schon. Er mag die MarktbesucherInnen, sie seien ein ganz eigener Menschenschlag!

Um 13 Euro ist ein kleiner, schlichter Kranz zu haben, für 45 Euro gibt es ein prachtvolles Exemplar. Prachtvoll, aber nicht überkandidelt. Kein grelles Plastikobst oder so viel Beiwerk, dass die Kerzen fast nicht mehr zu sehen sind. Gotthard verkauft schlichte, schöne Kränze, gebunden aus den Zweigen seines eigenen Waldes, denn er ist Landwirt aus Leidenschaft. Vor sieben Jahren hat er einen sicheren Job aufgegeben, um in die Fußstapfen seiner Eltern zu treten. Man bewirtschaftet den Hof gemeinsam, aber jeder vermarktet selbst. Die Mutter „steht“ am Lendplatz, somit ist die Familie auf den beiden größten und miteinander konkurrierenden Grazer Märkten vertreten. Er sei nicht glücklich gewesen in seinem alten Beruf, erzählt er. Für eine gute Leistung hatte es keine Wertschätzung gegeben und wenn er schlecht gearbeitet hätte, wäre es auch egal gewesen. „Da hackel ich lieber a bissl mehr und hab meine Freiheit.“ Was für ein einfaches Rezept gegen Depressionen, Magengeschwüre, kreisrunden Haarausfall und Burnout!

Und was passiert mit den übrig gebliebenen Kränzen am Samstag zu Mittag? Gotthard schüttelt den Kopf. Da bleibt nichts übrig, und er wird die nächste Woche damit verbringen, kleine Christbäume zu binden, mit denen er ab Mitte Dezember wieder hier zu finden sein wird.

Mein Adventkranz hat heuer rote Kerzen.

*Der Platz: es kann nur einen geben in Graz. Dabei hat die Stadt 15 Bauernmärkte zu bieten (nein, es werden keine Bauern verkauft, sondern Produkte aus der Region), aber es sind nur zwei, die um die Vorherrschaft rittern – der Lendplatz und der Kaiser-Joseph-Platz. Als GrazerIn muss man sich entscheiden, beide zu mögen, gilt nicht. Ersterer gilt als jung, hip und billiger, der Letzere ist traditionell, ein bissl verzopft und mit dem Hauch des Spießertums umnebelt, wenn die Dame aus der besseren Gesellschaft sich einkaufskorbbewehrt auf die Jagd nach den Gustostückerln für ihre Familie begibt. Man trifft sich hier und nimmt dann auch noch gerne einen Kaffee oder ein Gläschen Prosecco. Sehen und gesehen werden ist Teil des Einkaufserlebnisses. Für mich ist der Platz einer der schönsten Orte der Stadt und wenn ich ihn jeden Tag in der Früh auf dem Weg zur Arbeit durchquere, nehme ich den Wechsel der Jahreszeiten wahr, wie sonst nirgends. Der erste Krauthäupel markiert den Sommerbeginn und mit dem Auftauchen des Endiviensalats ist es an der Zeit, das Trockenblumenkranzerl an die Tür zu hängen. Vor Weihnachten ist es am schönsten hier und vor Ostern auch und im Hochsommer sowieso, aber alles ist nichts gegen den Herbst, dessen Zuschreibung als „golden“ sicherlich am Kaiser-Joseph-Platz geprägt worden ist.

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