Mein 9. Fensterl wiegt gut 15 kg

Ein kurzer Kalendercheck ergibt, dass es ziemlich genau drei Monate her ist, seit ich den Rucksack in den Kofferraum des Graz-Autos gehieft habe. Erinnert Ihr Euch an meine Reiselogistik? Bevor ich aufgebrochen bin, hatte ich gepackt:

1. Meinen ganz normalen Reiserucksack, so minimalistisch wie möglich, d.h. unter Verzicht auf eigentlich Unverzichtbares, wie zum Beispiel Glätteisen, Wimperntusche, Stöckelschuhe, Sommerkleider, Schmuck und, und, und…
2. Ein Venedig1-Kofferl, das mir zum Seminar Ende August mitgebracht wurde und das dann auch wieder ohne mich nach Hause reiste
3. Den Toskana-Rucksack mit all den herrlichen, schwerst vermissten und unter Punkt 1 gelisteten Utensilien
4. Einen Venedig2-Koffer, der mir Ende Oktober die letzten Tage meiner Reise aufpeppte und von mir persönlich heimgebracht wurde.

Meine FreundInnen, mit denen ich eine wunderbare Woche in der Toskana verbracht hatte, fuhren also nach Hause und ich stand allein am Bahnhof in Arezzo. Es war Halbzeit, mein nächstes Ziel war Lucca, wo ich Mr. Pucchini besuchen durfte. Aber das wusste ich natürlich noch nicht und so im Nachhinein gebe ich zu, dass dies der einzige ein wenig einsame Moment meiner Reise gewesen ist; kein Wunder nach den intensiven Tagen des Zusammenseins.

Aus “logistischen“ Gründen konnte ich den Toskana-Rucksack erst heute auspacken, was durchaus mit dem Öffnen eines Adventkalenderfensterls vergleichbar ist, hatte ich doch nur eine sehr vage Ahnung davon, was genau mich erwartete. Aha, meine kleine schwarze Tasche. Sehr schön, ich hatte es aufgegeben, sie zu suchen und als verschollen abgehakt. Genau wie meinen roten Badeanzug! Aber woher stammen vier Stück duftende, rosa Seife? Auf der Schleife steht: Arezzo. Soso… Dann ein Flashback nach Quiberon in Form von bunten Dosen. Habe ich tatsächlich Fischsuppe quer durch Europa geschleppt? Ein ganzes Sackerl mit Notizen und Prospekten lässt Gespräche wieder aufleben und ich versinke minutenlang in den wunderbaren Erinnerungen, Gerüchen, Farben meiner Reise. Da ist er wieder, der Zauber dieser Monate, der schon verblasst war ob der Verpflichtungen und Belastungen des ganz normalen Alltags.

Ich werde wieder einen Rucksack packen. Mit einem Buch, das ich gerade besonders schön finde. Dazu eine Flasche Wein meines Lieblingswinzers, gesammelte Erinnerungen aus dem Hier und Jetzt, schöne Momente auf diese Art materialisieren und für später konservieren. Um sie dann, wenn es gerade gut passt, vielleicht in ein paar Wochen oder auch in ein paar Monaten hervorzuholen und mir so selbst vor Augen zu führen, dass es nicht immer eine große Reise sein muss, die verzaubert, sondern dass auch der Alltag genügend Wunderbares bereithält. Übersehen darf man`s halt nicht 🙂

6., 7. und 8. Fensterl: Adventkalender-Stoßlüften quasi

Bei den von mir so hochgelobten Papieradventkalendern war es noch nicht so verlockend, mehrere Fenster heimlich im Voraus zu öffnen. Außer beim 24., da konnte ich schon als Kind nie widerstehen, musste hineinspähen, um das Doppelfenster dann vorsichtig und sorgfältig wieder zu schließen. Mit dem Einzug von Milka und Co war es mit meiner Selbstbeherrschung nicht so weit her. Der Rekord: Leergefressen in 10 Minuten.

Heute geht`s in die verkehrte Richtung. Wir öffnen die Fensterln nachträglich, dafür mit einer ganz langen Geschichte, die mit der letztens kurz angedeuteten Ich-fürchte-mich-vor-dem-Krampus-Traumatherapie zu tun hat. Denn andeuten und dann nix dazu sagen, geht nicht. Ich wurde dafür geschimpft und das mit Recht.

Es war irgendwann in den 1980er Jahren, ich war mitten im Studium und permanent pleite, d.h. immer auf der Suche nach kreativen Möglichkeiten, mir ein paar Schillinge dazu zu verdienen. Es gab damals in Graz eine Vermittlungsagentur für Nikoläuse und Krampusse, bei der ich mich mutig bewarb. Tatsächlich wurde ich zu einem Casting eingeladen, das damals noch Vorstellungsgespräch hieß. Man begutachtete mich von oben bis unten und stellte fest, dass ich aufgrund meiner Körpergröße als Nikolaus ungeeignet sei, aber als Krampus wäre ich gerne engagiert.

So erschien ich denn am 5. Dezember am Nachmittag, um gleich den ersten Schock zu bekommen. Glaubt mir, so ein großer Raum, voll mit Nikoläusen und Krampussen hat etwas sehr Schräges, alle meine alten Ängste meldeten sich sofort zu Wort. Allerdings blieb mir nicht viel Zeit zum Denken, mein mir zugeteilter Nikolo wartete nämlich schon auf mich, also nichts wie hinein mit mir in das dicke, schwarze Fell. Maske auf, die Rute dazu und am Ende bekam ich noch eine ziemlich schwere Kette zum Rasseln in die schwarz behandschuhten Hände gedrückt.

Auf unserer Liste standen etliche Termine, an einige davon kann ich mich sehr gut erinnern. Allesamt Momentaufnahmen einer Sozialstudie.

Heile, kleine Welt
Eine winzige Wohnung in einem alten Grazer Bürgerhaus ist unser erstes Ziel. Es duftet nach Weihnachten und die Familie hat sich um den festlich geschmückten Wohnzimmertisch versammelt. Drei Kinder sehen uns mit großen, im Schein der Adventkranzkerze leuchtenden, aber auch ein wenig ängstlichen Augen an. Ich versuche, mich so gut wie möglich hinter meinem zum Glück ziemlich großen Nikolaus zu verstecken und halte die Kette ganz fest, damit sie ja nicht rasselt. Meine Anwesenheit ist mir einfach nur peinlich, ich will lieb sein und nicht das personifizierte Böse (erspart mir jetzt bitte alle Kommentare zu meiner Persönlichkeit:-)! Das hätte ich mir vorher überlegen sollen, jetzt muss ich irgendwie zurechtkommen. Aber dann ist alles wie bei Peter Rossegger. Jedes Kind sagt ein kleines Gedicht auf, wir singen gemeinsam ein Weihnachtslied und der Nikolaus liest aus seinem Buch. Der Text, den die Eltern vorbereitet haben, ist liebevoll und kommt ohne Geschimpfe aus. Die roten Sackerln werden verteilt, für uns gibt es ein Glas Wein, ein ansehnliches, unerwartetes Trinkgeld und schon sind wir wieder draußen in der Kälte.

Irgendwo in der Gegend von Autal
Auf einem künstlichen Hügelchen prangt ein Bungalow mit einer Auffahrt á la Dallas. Das Tor öffnet sich automatisch und der Versuch, einen gutbürgerlichen Eindruck zu erwecken, glitzert aus allen Ecken und Enden. Als wir klingeln, springt die Haustür von alleine auf, aber niemand kommt, um uns zu begrüßen. Wir gehen forsch hinein, klettern über den in der Diele quer liegenden Staubsauger und folgen der Geräuschkulisse in Richtung Wohnzimmer. Eine Frau winkt uns in den Raum, ohne den Telefonhörer aus der Hand zu legen, vor dem Fernseher sitzt ein frühpubertäres Monster, das sich nicht im Geringsten für den hohen Besuch interessiert. Das Gespräch der Dame des Hauses nimmt an Lautstärke zu, offenbar diskutiert sie mit ihrem zweiten Sohn, der schon längst daheim sein sollte. Wir stehen rat- und hilflos herum, in der überhitzten Umgebung beginne ich unter meiner Kostümierung zu schwitzen. Auch auf der Stirn des Nikolauses zeigen sich die ersten Schweißperlen. Nach gefühlten 20 Minuten wirft die Mutter enerviert den Hörer auf die Gabel (an meine jungen LeserInnen: damit ist nicht gemeint, dass sie ihren Zuhörer in der Bestecklade deponiert!) und schenkt uns endlich ihre Aufmerksamkeit. „Es tut mir leid, Sie können wieder gehen. Ich gebe auf. Sollen doch alle machen, was sie wollen.“ Wir sind froh, davongekommen zu sein, hier aus dem Buch zu lesen, wäre absurd gewesen, außerdem ist unser Zeitplan gedrängt.

Wieder eine Wohnung in Graz
Der strahlende Vater öffnet uns die Tür zu einem Vorraum, dem man ansieht, dass hier Kinder leben. Viele kleine Schuhe, eine niedrig montierte, bunte Garderobe, Spielsachen liegen herum. Der Mann gibt Niko viele Packerln für seinen Sack und den üblichen Zettel für das große Buch. Dann führt er uns … ins Kinderzimmer, wo seine Frau mit einem ca. 4jährigen Buben am Bett sitzt. Als ich sehe, wie klein der Kerl noch ist, bin ich mit einem Satz nach hinten wieder draußen in der Diele und höre mir alles Weitere außer Sichtweite an. Es wundert mich, dass ein Krampus bestellt worden war. Der Nikolaus beginnt, seinen Text zu lesen und – wie zu erwarten war – ertönt eine Lobeshymne auf das bravste aller Kinder. Aber dann kommt das dicke Ende. Ich merke an Nikos Stimme, dass etwas schief läuft. Er liest, was für eine gute Mutter die Frau doch sei, allerdings möge sie sich nicht soviel – ich weiß es noch wörtlich – mit anderen Männern herumtreiben und es mit der Treue genauer nehmen! Der Krampus möge hereinkommen und seines Amtes walten. Niko bricht sofort ab, als er die Schweinerei endlich überlupft, aber der Schaden ist bereits angerichtet. Die Frau weint laut, das Kind heult aus Solidarität mit und wir beide verlassen fluchtartig die ungastliche Stätte

Es war der letzte Termin auf unserer Liste gewesen. Schweigend steigen wir ins Auto und fahren in Richtung Agentur, ganz in Gedanken darüber, was Menschen sich gegenseitig antun können, als uns ein am Straßenrand stehender, heftig gestikulierender Mann auffällt. Niko hält natürlich sofort an, in der Meinung, es handle sich um einen Notfall. Was es, wie sich herausstellen sollte, in gewisser Weise ja auch war.
Der Mann fragt, ob wir zufällig Zeit hätten, er bräuchte uns ganz dringend. Dann erzählt er uns seine Geschichte:
„Ich war auf Dienstreise und hätte eigentlich erst morgen zurückkommen sollen. Wissen Sie, ich arbeite für einen großen Konzern, mit vielen Reisen und wenig Zeit für meine Familie. Als ich gestern Abend in London allein im Hotelzimmer gesessen bin, habe ich mich plötzlich gefragt, was ich hier eigentlich zu suchen habe. Langweilige Meetings, fremde Menschen, noch mehr Geld, öde Verhandlungen, nichts als Arbeit. Wofür eigentlich? In Graz sind meine Lieben und ihr Leben geht an mir vorbei. Da habe ich meinen Flug umgebucht, heute Vormittag noch ein paar Geschenke gekauft und Euch hat der Himmel geschickt. Jetzt ist meine Überraschung perfekt!“
Nach der Erfahrung von vorhin breche ich fast in Panik aus. Wenn das nur gut geht! Aber wir können natürlich nicht anders und erfüllen dem Geläuterten seinen Wunsch. So viel Freude, laute, helle, ehrliche Freude mit Tränen, die in Strömen fließen! Seine Überraschung ist mehr als gelungen. Und am Ende stehen ein glücklicher Nikolaus und ein glücklicher Krampus am Jakominiplatz beim Würstlstand und belohnen sich mit einem Hot Dog und einem großen Bier.

Das war die Geschichte meines ersten und letzten Engagements im schwarzen Pelz mit Rasselkette. Die Adjustierung kann ich mir schon noch vorstellen, aber der Pelz müsste in Mantelform (als Kunstfaser, eh klar) daherkommen und die Rasselkette darf bitteschön aus dem Schaufenster vom Schullin stammen.

Noch ein kurzer Ausblick:
Knecht Ruprecht hat mir geschrieben, dass er meine Einladung annimmt. Dieser Tage hätte er allerdings gerade wenig Zeit. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es so mühsam werden würde, alle Betroffenen an einen Tisch zu bekommen, um die neueste Vorgabe der EU offen zu diskutieren. Die einfachste Lösung wäre Doodle gewesen, aber hier wurde schon meine erste zarte Anfrage sehr unwirsch abgeschmettert. Außer dem Christkind geht hier anscheinend niemand mit der Zeit! Ich halte Euch auf dem Laufenden.

5. Fensterl: Schön unauffällig daheim bleiben

Krampustag. Da sag ich jetzt gar nix dazu. Fotos gibt es sowieso keine, weil ich nicht aus dem Haus gehe. Das einzige, vor dem ich mich noch mehr fürchte, sind die Gruselclowns, die zum Glück so schnell, wie sie aufgetaucht sind auch wieder verschwunden waren. Die Krampusse werden sich länger halten, aber ohne mich! Auch mein Versuch einer Traumatherapie vor vielen Jahren hat nicht geholfen, die Sabine im Zottelkostüm war sicher der einzige Krampus weltweit, der sich vor sich selbst gegruselt hat!

4. Fensterl: Neues Wort gefällig?

Eigentlich sollte ich heute wohl über eine dem Vernehmen nach kluge und wunderschöne junge Frau schreiben, die vor langer Zeit für ihren Glauben verfolgt, geschlagen, eingesperrt und letztendlich enthauptet wurde. Durch ihren eigenen Vater (der dann zwar vom Blitz getroffen wurde, aber das ist auch kein Trost)! Es ließe sich ein feiner Bogen spannen in unsere Gegenwart, über Rückgrat könnten wir philosophieren, über Toleranz und Nonkonformität. Aber dann würdet Ihr mich mit Recht fragen, wo denn da bitteschön der Zauber bleibt?

Barbara von Nikomedien wurde gerade einmal 33 Jahre alt, sie starb 306 n.Chr. in der Türkei, es könnte auch im Libanon gewesen sein, aber für uns spielt das keine Rolle. Denn ich überspringe jetzt ganz einfach 1700 Jahre und frage mich, welche Spuren eine Frau wie sie in unserem Alltag hinterlassen hat. Da wäre zuerst einmal ihr Name zu nennen, der in der österreichischen Statistik zwischen Michaela und Isabella auf dem soliden 41 Platz zu finden ist. Auf die Schnelle fallen mir drei Barbaras (Alles Gute zum Namenstag!) in meinem näheren Umfeld ein. Interessant ist, dass es kein männliches Pendent gibt, denn unser türkisches Mädel ist heute hauptsächlich in männerdominierten Branchen präsent. Sie kümmert sich um Architekten, Feuerwehrleute, Fleischhauer, Glockengießer, Totengäber, Buchhändler und Gefangene. Zusätzlich zu diesem allgemeinen branchenübergreifenden Schutzheiligen-Job, würde heute in Barbaras Arbeitsplatzbeschreibung stehen, dass die Bauern sie bei Gewittern anrufen dürfen, sie ein Auge auf alle Mädchen haben und für Sterbende da sein muss.
Auch Büchsen- und Hutmacher gehören zu ihrer Klientel, ganz abgesehen von Bergleuten und Artilleristen.

So kommt es, dass – ich wiederhole mich jetzt – nach 1700 Jahren die TU-Graz eine Barbarafeier veranstaltet, die Karl-Franzens-Universität Graz auch und die Montanuni in Leoben sowieso. Sie gibt ihren Namen unzähligen Tunneln und Stollen, dabei sind Frauen dort ja wirklich nicht besonders willkommen. Freundlich ausgedrückt. Versteh einer die Männer. Und das finde ich irgendwie schon zauberhaft, wie diese Frau die Mannsbilder im Griff hat, so über die Jahrhunderte gesehen.

Im Titel habe ich ein neues Wort versprochen. Nicht einmal Google schlägt es vor: Orakelbrauchtum. Die Barbarazweige, die ich heute am Platz gekauft habe, also frisch geschnittene Kirschzweige, sollten zu Weihnachten blühen. Dann steht eine Hochzeit ins Haus. Frau kann auch den einzelnen Zweigen die Namen ihrer Verehrer zuweisen und dann schaun, welcher Zweig als erster erblüht. Über die Anzahl der Blüten können Bauern ihre Ernteerträge hochrechnen und auch für sonstige Prognosen sind die Zweige einsetzbar.

Über den Fortgang meiner Barbarazweig-Entwicklung werde ich Euch am Laufenden halten! Wobei ich mein Orakel natürlich nicht verrate, in diesem Fall würde es nämlich sicherlich nicht funktionieren. Und das riskiere ich – bei aller Wertschätzung – lieber nicht!

3. Fensterl: Die erste Kerze brennt.

Der 24. Dezember fällt heuer auf den 4. Adventsonntag. Ein kürzerer Advent ist nicht möglich, weshalb ich bereits vor zwei Wochen, also Mitte November Werbung mit der dringenden Aufforderung erhielt, mich um meine „Last Minute Weihnachtsgeschenke“ zu kümmern. Das hilft mir bei meiner Suche nach dem Zauber auch nicht wirklich weiter, weckt allerdings größtes Bedauern mit der Wirtschaft. Wie bitte soll sie wachsen, wenn man dem Weihnachtsgeschäft eine volle Woche stiehlt?
Aber ich schweife schon wieder vom Blog-Thema ab. Daher werde ich alle meine Vorschläge, wie die fehlenden Ladenöffnungszeitenstunden sinnvoll kompensierbar wären, hintan stellen und mich meinem zentralen alljährlich mit dem ersten Advent wiederkehrenden Problem beschäftigen, das eigentlich durchaus ein zauberhaftes ist.

Seit ungefähr 30 Jahren – also seit ich beschloss, meine eigenen Kekse zu backen – gibt es jeweils knapp vor dem 1. Adventsonntag ein zuverlässig wiederkehrendes Telefonat ähnlichen Inhalts. Üblicherweise bin ich die Anruferin.

1987 klang das so:
Ich: „Hallo Mutti, wie geht´s? Hast Du schon was gebacken?“
Mutti: „Ja, das Kletzenbrot ist schon fertig, die Hausfreunde sind im Rohr.“
Ich: „Ich brauch Hilfe bei der Schokoladewurst. Die zerbröselt schon wieder.“
Mutti: „Was hast du für eine Schokolade genommen?“
Ich: „Manner“
Mutti: „Die geht nicht, Suchard ist besser. Wieso backst du überhaupt Kekse? Mach endlich dein Studium fertig!“

1997:
Ich: „Hallo Mutti, wie geht´s? Hast Du schon was gebacken?“
Mutti: „Ja, das Kletzenbrot ist schon fertig, die Hausfreunde sind im Rohr.“
Ich: „Meine Schokoladewurst ist schon wieder eine Katastrophe. Nur Brösel.“
Mutti: „Ich ärgere mich auch grad damit herum.“
Ich: „Was hast du für eine Schokolade genommen?“
Mutti: „Manner.“
Ich: „Die geht doch nicht. Aber vielleicht liegt´s ja an der Butter. SEBASTIAN UND GEORG, HÖRT SOFORT DAMIT AUF, ICH ZÄHLE BIS DREI… Mutti, ich ruf dich gleich noch mal an, die bringen sich gerade um…
20 Minuten später:
Ich: „So, jetzt hab ich sie vor den Fernseher gesetzt. Warum hatte ich dich angerufen?“
Mutti: „Wegen der Schokoladewurst!“
Ich: „Ach, vergiss es.“

2007:
Ich: „Hallo Mutti, wie geht´s? Hast du das Kletzenbrot schon fertig?“
Mutti: „Ja, freilich. Was ist heuer mit deiner Schokoladewurst?“
Ich: „Brösel, wie immer, sie lässt sich ganz schlecht schneiden.“
Mutti: „Hast du wieder die Hofer-Schokolade genommen? Dann ist´s kein Wunder.“
Ich: „Daran kann es nicht liegen. Vielleicht ist das Mehl falsch.“
Mutti: „Aber wir nehmen ja immer Farina Universal.“
Ich: „Ja eh. Vielleicht probieren wir einmal eine andere Sorte.“
Mutti: „Gute Idee, nächstes Jahr dann. Wie geht´s den Kindern?“
Ich:(Zensur. Sie waren beide in der Pubertät.)

Gestern:
Ich: „Hallo Mamsch. Wie geht´s? Sag, wie machst du das bei der Schokoladewurst? Nimmst du den Mixer?“
Mutti: „Ja, du musst die Butter ganz schaumig rühren. Und nimm ja keine Sommerbutter, die ist zu weich, nimm die billigste, die du kriegen kannst. Was hast du für eine Schokolade?“
Ich: „Manner.“
Mutti: „Die vom Spar ist gut! Aber vielleicht liegt es ja doch am Mehl. Wie geht´s den Kindern?“
Ich: „Gut, glaube ich.“

Heute bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass das Rezept – es stammt von meiner Großmutter und daran zu rütteln, ist eigentlich undenkbar – nicht stimmen kann und habe begonnen, herumzuexperimentieren. Ein zusätzliches Ei, weniger Butter, wieder ein anderes Mehl. Es hätte funktionieren können, aber eigentlich will ich gar nicht, dass es funktioniert. Denn ich liebe die alljährlichen Butter-, Schokolade- und Mehldiskussionen mit meiner Mutter über alles. Sie gehören zum ersten Advent dazu, sind ein Teil des Zaubers!

2. Fensterl: Wunderbare Vielfalt

Was haben Bier, Schokolade, Kosmetika, Socken, Spielzeug, Teesackerln, Gewinncodes für Gratisstrom, String-Tangas, Nagellacke, Lego- und Playmobilfiguren, Greenpeace-Öko-Geschenksideen, Kondome und Rubbellose gemeinsam? Mit all diesen überaus nützlichen und besinnlichen Utensilien bzw. Anregungen und Versprechungen werden Adventkalender – analoge und digitale – befüllt, um uns und unsere Kinder und Enkelkinder auf eine wunderschöne Weihnachtszeit einzustimmen. Welch ein unvergleichlich warmes und erwartungsvolles Gefühl der Vorfreude ist es doch, das 2. Fenster zu öffnen und dann begeistert zu rufen: „Ah, wie schön, ein Rubbellos!“ oder „Komm, Schatz, lass uns gleich das herrliche Kondom ausprobieren!“ Ich habe Beweisfotos, die ich Euch erspare.

Es liegt mir fern, hier einen schönen, alten Brauch in Grund und Boden zu verdammen. Auch wir haben für unsere Kinder Kalender gebastelt, Säckchen mit Kleinigkeiten befüllt und ab und zu war auch ein Lego-Manderl dabei oder eine Münze. Ich habe einfach nur einen Schock ob der Geschmacklosigkeiten, die mir untergekommen sind.

Warum Ihr diesen Sermon jetzt aushalten müsst, hat mit dem Titel dieses Adventkalenders zu tun, den ich mit Geschichten über die Suche nach dem Zauber dieser stillsten Zeit des Jahres füllen wollte und – keine Sorge – auch werde. Ich erinnerte mich gestern an die Papierkalender meiner Kindheit, die man an das Fenster klebte. Hinter jedem Türchen verbarg sich eine kleine Zeichnung, ein Vogelhaus, der Nikolaus, ein Schneemann, ein Tannenzweig samt Kerze … und am 24. schließlich gab es die Doppeltür, die es irgendwie geschafft hat, die Adventkalendermetamorphose in das 21. Jahrhundert zu überleben. Dahinter dann die Krippe und mit ihr die Erlösung: die Zeit des Wartens ist endlich vorbei.

Genau so einen Kalender wollte ich haben, und daher zog ich gestern Abend sehnsüchtig los in Richtung Grazer Innenstadt, um ihn mir zu kaufen. Ein klassischer Fall von Denkste. Ich glaube, das Mädel in der Trafik wusste gar nicht, was ich meine. Ein Geschäft nach dem anderen hab ich abgeklappert, mit genau gar keinem Erfolg. Ich hatte mir das wirklich schön vorgestellt: Immer wenn ich zu Schreiben beginne, öffne ich ein Fenster und lasse mich in diese zauberhafte Stimmung von damals versetzen.
Daher endet mein Eintrag heute mit einem dringenden Aufruf! Bitte sagt mir, wo ich so etwas Altmodisches, Billiges, Langweiliges und Unbefriedigendes bekommen kann! Wäre echt dringend…

Übrigens: morgen, am ersten Adventsonntag wird sich das Fensterl erst am Abend öffnen!

1. Fensterl: Am Platz

Der Wettlauf um die schönsten Adventkränze geht in die Endrunde. Es ist sieben Uhr in der Früh und der Platz* rüstet sich für den Ansturm der Kaufwilligen, zwischen den Ständen mit Wintergemüse, Kernöl, Brot, Honig, Geflügel und Eiern ist ungewöhnlich viel Grün zu sehen.

Gotthard hat seine zwei Tische schon fertig aufgebaut, auf der einen Seite prangen die Kränze, auf der anderen eine Reihe von kleineren und größeren weihnachtlichen Gestecken und Dekorationen, auch nackerte Reisigringe (Reisig=Tannengrün) zum Selberschmücken gibt es im Sortiment. Zweieinhalb Wochen brauchen er und seine Frau – die ihm nur „nebenbei“ helfen kann – für die Herstellung der ca. 400 Kränze. Auch wenn sie viele verschiedene Kerzenfarben verwenden: rot ist die Farbe der Farben. Das gilt auch für die Allerheiligengestecke, rot geht immer. Gibt es eigentlich Stammkundschaft? Bei den Adventkränzen nicht so sehr, aber zu Allerheiligen und bei den Bäumchen schon. Er mag die MarktbesucherInnen, sie seien ein ganz eigener Menschenschlag!

Um 13 Euro ist ein kleiner, schlichter Kranz zu haben, für 45 Euro gibt es ein prachtvolles Exemplar. Prachtvoll, aber nicht überkandidelt. Kein grelles Plastikobst oder so viel Beiwerk, dass die Kerzen fast nicht mehr zu sehen sind. Gotthard verkauft schlichte, schöne Kränze, gebunden aus den Zweigen seines eigenen Waldes, denn er ist Landwirt aus Leidenschaft. Vor sieben Jahren hat er einen sicheren Job aufgegeben, um in die Fußstapfen seiner Eltern zu treten. Man bewirtschaftet den Hof gemeinsam, aber jeder vermarktet selbst. Die Mutter „steht“ am Lendplatz, somit ist die Familie auf den beiden größten und miteinander konkurrierenden Grazer Märkten vertreten. Er sei nicht glücklich gewesen in seinem alten Beruf, erzählt er. Für eine gute Leistung hatte es keine Wertschätzung gegeben und wenn er schlecht gearbeitet hätte, wäre es auch egal gewesen. „Da hackel ich lieber a bissl mehr und hab meine Freiheit.“ Was für ein einfaches Rezept gegen Depressionen, Magengeschwüre, kreisrunden Haarausfall und Burnout!

Und was passiert mit den übrig gebliebenen Kränzen am Samstag zu Mittag? Gotthard schüttelt den Kopf. Da bleibt nichts übrig, und er wird die nächste Woche damit verbringen, kleine Christbäume zu binden, mit denen er ab Mitte Dezember wieder hier zu finden sein wird.

Mein Adventkranz hat heuer rote Kerzen.

*Der Platz: es kann nur einen geben in Graz. Dabei hat die Stadt 15 Bauernmärkte zu bieten (nein, es werden keine Bauern verkauft, sondern Produkte aus der Region), aber es sind nur zwei, die um die Vorherrschaft rittern – der Lendplatz und der Kaiser-Joseph-Platz. Als GrazerIn muss man sich entscheiden, beide zu mögen, gilt nicht. Ersterer gilt als jung, hip und billiger, der Letzere ist traditionell, ein bissl verzopft und mit dem Hauch des Spießertums umnebelt, wenn die Dame aus der besseren Gesellschaft sich einkaufskorbbewehrt auf die Jagd nach den Gustostückerln für ihre Familie begibt. Man trifft sich hier und nimmt dann auch noch gerne einen Kaffee oder ein Gläschen Prosecco. Sehen und gesehen werden ist Teil des Einkaufserlebnisses. Für mich ist der Platz einer der schönsten Orte der Stadt und wenn ich ihn jeden Tag in der Früh auf dem Weg zur Arbeit durchquere, nehme ich den Wechsel der Jahreszeiten wahr, wie sonst nirgends. Der erste Krauthäupel markiert den Sommerbeginn und mit dem Auftauchen des Endiviensalats ist es an der Zeit, das Trockenblumenkranzerl an die Tür zu hängen. Vor Weihnachten ist es am schönsten hier und vor Ostern auch und im Hochsommer sowieso, aber alles ist nichts gegen den Herbst, dessen Zuschreibung als „golden“ sicherlich am Kaiser-Joseph-Platz geprägt worden ist.

Morgen ist es soweit

Das erste Fensterl wartet darauf, geöffnet, zu werden. Dahinter verbirgt sich eine Geschichte darüber, wie die Adventkränze auf den Platz kommen und eigentlich ist es auch eine Geschichte über das Leben und wie man sein Schicksal selbst in die Hand nehmen kann.

Schön ist es heute in Graz!

DANKE

Verena.
Die mich – ohne mich zu kennen – in ihr Haus aufgenommen und mir ihr Hamburg gezeigt hat.

Toni und Roelof.
Die mir innige (Freundschaft!), aufregende (Wacken!) und sportliche (Golf!) Tage in Schleswig-Holstein beschert haben.

Roel.
Der mir seine wunderbare Patriot als Quartier zur Verfügung gestellt und mich in die Geheimnisse der niederländischen Schleusen eingeweiht hat.

Clemens.
Der mir mit größtem Sebstverständnis den Schlüssel für sein Appartement in Nizza überlassen und mir damit unvergessliche Tage an der Cote d Azur ermöglicht hat.

UND DAS HERZLICHSTE DANKESCHÖN AN MEINE FREUNDIN UND KOLLEGIN DANI, DIE DREI MONATE ALLEINE DIE STELLUNG GEHALTEN HAT!