Das Haus des Conte Tarlati stand in den Hügeln nahe Antria an der Route zwischen den Meeren. Es war ein guter Platz in einer fruchtbaren, bewaldeten Region, die ihre Bewohner gut ernähren konnte. Bis die Medici an die Macht kamen und alles zerstörten. Viel ist heute nicht mehr von der kleinen Burg zu sehen, nur noch ein paar Mauern, hinten im Garten, zwischen den Pinien.
Franko zeigt mir, an welchen Stellen des heutigen Hauses alte Steine des Castello eingearbeitet wurden.
Und wenn man ganz genau schaut sieht man die Konturen des kleineren alten Hauses. Die Linie verläuft ca. unterhalb des Kamins, links vom Fenster. In seinen Grundmauern könnte das Gebäude schon so in etwa 300 Jahre alt sein, genau weiß das wohl niemand.
Im Jahr 2003 hat Franko das Haus gekauft. Der Plan wäre gewesen, hier gemeinsam mit seiner Frau einen geruhsamen Lebensabend zu verbringen. Doch das Schicksal wollte es anders, die Frau starb und Franko beschloss nach zwei einsamen Jahren zurück nach Florenz zu ziehen und das Haus an Touristen wie uns zu vermieten. Es liegt ihm viel daran, dass seine Gäste sich wohl fühlen, man sieht und spürt dieses Bemühen im Großen genau so wie im Kleinen. Die vielen – teilweise antiken – Accessoires stammen aus den Beständen seiner Großeltern, aber auch vom berühmten Antikmarkt in Arezzo, der an jedem ersten Wochenende im Monat stattfindet. Franko investiert viel Zeit in die Pflege der Anlage, vor allem der Garten liegt ihm sehr am Herzen. Meist kommt er alleine, seine neue Frau ist Städterin, aber es sieht so aus, als würde er die Stille und Abgeschiedenheit des Anwesens sehr genießen. Die Zufahrt ist übrigens abenteuerlich und nichts für ungeübte oder ängstliche Autofahrer!
Doch schon am ersten Tag in der Früh kommt der Schock: offensichtlich sind wir hier unerwünscht, die wahren Herren über das Anwesen haben bereits ein Zeichen gesetzt.
Der Rasen des fast golfplatzmäßig gepflegten Gartens wurde über Nacht zerwühlt und die hinterlassene Botschaft spricht eine deutliche Sprache.
Wir beraten die Taktik und beschließen, dass Ignoranz das Mittel der Wahl ist. Was gehen uns die hiesigen Wildschweine an? Das Haus gehört uns und basta. Der Tag verläuft ohne weitere Vorkommnisse, bis sich die Ereignisse in der Abenddämmerung überschlagen. Ich bin alleine zu Hause, als plötzlich ein unerwünschter Besucher in meinem Garten auftaucht und mich provokant angrunzt.
Wie im Film zieht mein gesamtes Wissen über diese Tiere an meinem inneren Auge vorbei. Mühelos können sie die Gliedmaßen Erwachsener abtrennen, immer wieder werden Jäger von ihren Hauern aufgspießt, gar nicht zu reden von zu Tode getrampelten österreichischen Weltenbummlerinnen.
Davonlaufen ist keine Option. Auf mich selbst gestellt verschanze mich im Haus und beschließe, den Kampf aufzunehmen. Auf der Suche nach einer geeigneten Waffe, verzweifle ich fast. Die Messer sind zu kurz und U stumpf, Nudelwalker finde ich keinen und mein Betäubungsgewehr habe ich in Graz vergessen.
Rettung naht in Form eines Zaubertrankes, ich finde eine Flasche „Amore di Toscana“.
Nach einem tiefen Schluck nimmt das Schicksal für das Wildschwein seinen Lauf.
Es gibt Tausende dieser prachtvollen, wuchtigen und furchteinflößende Tiere in der Toskana. Sie sind nicht scheu und wir hören sie jeden Abend ganz nah am Haus, rascheln, grunzen , trapsen. Wenn wir uns zurück ziehen übernehmen sie tatsächlich die Herrschaft im Garten, es ist ein bizarres Bild, zwischen Pool und Sonnenliegen, fotografieren konnte ich sie bis jetzt leider nicht.
Wenn es möglich ist, ernsthaft über Feinheiten der deutschen Sprache nachzudenken, z.B. warum es nicht heißt:
In der Früh, in dem Mittag, in dem Abend
oder
Zu Früh, zu Mittag, zu Abend
oder
Am Früh, am Mittag, am Abend
… dann ist der Kalender wirklich leer, der Wochentag irrelevant und die Zeit mit Nichtstun gut ausgefüllt.
Nichtstun im Sinne von Reiseziele googeln und feststellen, dass es in Thailand leider regnet, reden über Gott und die Welt und ein bissl streiten auch, kochen, gemeinsam und mit Genuss, Wein verkosten und dann doch lieber Bier trinken, Gelsen jagen und Wespen und Wildschweinen auflauern, über Haie im Pool lachen und Vorkehrungen gegen Geister treffen – ich bin angekommen in jenem Zustand, den die Österreicher als „in der Toskana“ bezeichnen.
Zwei Mal im Jahr ist ganz Arezzo auf den Beinen, wenn die Stadtteile Crucifera, del Foro, Sant Andrea und Santo Spirito um die goldene Lanze kämpfen. Es ist ein farbenprächtiges, streng ritualisiertes Spektakel, das – zurückgehend auf die Zeit der Kreuzzüge – die Innenstadt fest im Griff hat.
Sie hüten die Helme der beiden Ritter, die für Porta Crucifera kämpfen werden.Ich darf auch kurz halten!Del ForoSanto SpiritoSant AndreaCruciferoJeder Stadtteil wird durch seine Farben repräsentiert. Die Bewohner und sonstige Fans tragen entsprechende Halstücher.
Um Punkt 05.30 Uhr beginne ich meinen Erkundungsgang, es ist noch ganz still in Haus.
Ich schleiche zum Treffpunkt.
Niemand ist zu sehen (Ihr Schnarchnasen!!!), ich warte nicht, sondern suche den Weg nach oben. Der Ausblick ist wunderbar, so hoch über den Dächern der Stadt.
Beim Abstieg entdecke ich einen schmalen Gang, nach links öffnet sich eine Tür.
Ein kleiner Raum tut sich auf, das sieht nicht wie ein Hotelzimmer aus.
Rechter Hand ist eine durch ein Holzgitter geschützte Öffnung zu sehen! Schemenhaft erkennt man ein sakrales Motiv. Wo bin ich hier?
Ich ziehe mich ein bissl ehrfürchtig zurück und bin jetzt schon sehr gespannt auf die nächste Tür ohne Zimmernummer:
Vorsichtig drücke ich die Klinke nach unten. Abgesperrt. Gemeinheit.
Weiter geht es durch schmale Gänge nach unten. Da, die nächste Tür. Mit Lüftungsöffnungen! Spannend…
Sie lässt sich öffnen. Dahinter verbirgt sich…
… ein Staubsauger 🙂
Weiter geht es, eine Doppeltür mit Glaseinsätzen steht sogar ein wenig offen.
Eine Kapelle, die nicht mehr in Verwendung ist!
Als ich schon fast wieder bei meinem Zimmer bin (am Foto links, hinter der Heizung), fällt mir direkt gegenüber eine ältere, kleine Tür auf, mit einem Rahmen aus Stein und ohne Nummer.
Offen! Ein düsterer, enger Schlurf, ich komme fast nicht durch, ein paar Stiegen führen nach unten.
Was sich dann vor und unter mir öffnet, macht mich sprachlos. Es ist, als würde ich in einer Kirche schweben…
Vielleicht ist dieser direkte Zugang von den Mönchszellen zur Kirche ja ganz normal, aber für mich sind Klosterübernachtungen nicht an der Tagesordnung und so bin ich wirklich überrascht. Wir sprechen von der Kirche San Pier Piccolo aus dem 11. Jahrhundert. Achja, ich bin in Arezzo, sollte vielleicht auch mal gesagt werden.
Wer morgen früh dabei sein will, wenn ich die verbotenen Türen öffne: Treffpunkt ist um 05.30 Uhr bei der Jerusalemer Bibel, direkt neben der Stiege ins Nichts. Psssssst!
Venedig ist in Hochform. Die Biennale läuft, die Filmfestspiele wurden endlich eröffnet und George Nespresso Clooney war angeblich auch da. www.labiennale.org/en/cinema/2017
Es glitzert und sprudelt, die Hubschrauber kreisen, in den Bars und Restaurants herrscht fröhlicher Hochbetrieb, der Verkehr in den (oder sagt man „auf den“?) Kanälen ist schon fast beängstigend. Prompt kollidiert mein Vaporetto 4.1 auf dem Weg zum Bahnhof mit einem Lastkahn. Es ist einfach zu eng und zu viel los, aber mit ein paar Drohgebärden und etwas Geschimpfe ist die Schuldfrage schnell geklärt und der Fahrplan kann eingehalten werden.
Jenseits des wirbelnden Glitzer-Venedigs gibt es natürlich noch ganz viel Erzählenswertes. Wenn man z.B. bei der Station Gardini Biennale das Vaporetto verlässt…
… nach links abbiegt, an der Statue eines durchaus bekannten Herrn vorbeispaziert….
… sieht man dann auf der rechten Seite ein sehr unvenezianisches Gebäude mit einem so gar nicht typischen Gastgarten.
Hier einen Aperitivo zu nehmen, ist empfehlenswert, handelt es sich doch um die Bar der Kooperative „non solo verde“, die Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen Arbeitsplätze bzw. Ausbildung bietet. http://www.nonsoloverde.org.
Unter anderem ist eine Gärtnerei angeschlossen und in den großzügigen Räumlichkeiten der Bar hat sich auch die Biennale mit einem Projekt einquartiert.
Weiter geht es durch die Gassen der Stadt, vorbei an der Taufkirche Vivaldis und an der Pasticceria alle Bragora, deren Angebot dabei hilft, die Zeit bis zum Abendessen zu überstehen. Dann noch einmal um’s Eck und schon lockt die Auslage einer Boutique der besonderen Art.
Die dort erhältlichen Kleider, Röcke, Mäntel …. und Accessoires sind werden in der Schneiderei des Sartoria Istituto Penale Femminile Giudecca produziert, also im Frauengefängnis von Venedig. Auch hier wiederum bedeutet das Projekt Arbeit und Ausbildung, somit Zukunft und Hoffnung. Die Qualität ist unglaublich, auch das Design und die Stoffe, ich komme im Herbst wieder 🙂
Für eine Venedig-Anfängerin ist schon die Aufgabe, vom Bahnhof St. Lucia nach San Erasmo zu fahren, nicht so einfach zu lösen. Der Anblick des Vaporettoplans löst Krampfanfälle in beiden Gehirnhälften aus und meine Nackenmuskulatur wird durch die für die Entzifferung der Endstationen notwendigen Verrenkungen auch nicht besser. Um die Sache zu verkürzen und nicht allzu peinlich aussehen zu lassen: nach 2stündiger Vaporettofahrt – durchaus wunderschön, aber leider gar nicht zielführend – standen der müde Onkel und ich wieder am Ausgangsort. Ich gab auf und wartete in der nächsten Bar auf den Zug aus Klagenfurt. Nein, nicht um in Richtung Heimat zu flüchten, sondern um mich den weiteren SeminarteilnehmerInnen anzuschließen, die mit der Bahn nach Bella Venezia kamen. Unter ortskundiger Führung war dann alles kein Problem. Wiewohl wir eine ungeplante Routenänderung bewältigen mussten, die einen Umsteigekaffee in Murano zur Folge hatte.
Je weiter das Vaporetto mit der Nr. 13 uns durch die Lagune schipperte, desto merklicher entfernten wir uns von den üblichen Touristenpfaden. An der Station ….. waren wir dann die einzigen Fahrgäste, die das Boot verließen. In Sichtweite Venedigs herrschte eine unglaubliche Stille, rundum war alles grün, als einsamer Zeuge der Zivilisation stand ein Rettungswagen an der Haltestelle. Und natürlich der Hotelbus, der uns die 500 Meter zum Il Lato Azzurro brachte. Die einzige Straße der Insel hat Dimensionen als wäre sie Teil eines Verkehrskindergartens. Ich wunderte mich ein bisschen, denn San Erasmo ist Venedigs Gemüsegarten und es stellte sich die Frage, wie denn hier die LKWs mit der Ware zurecht kommen.
Die Antwort ist einfach. Die lokalen LKWs sehen folgendermaßen aus:
Das Problem der Insel ist nämlich, dass es keine Fährverbindung gibt und keine Autowerkstatt, was in der Praxis bedeutet, dass für jede Reparatur und auch für’s Pickerl das Fahrzeug auf ein Frachtschiff geladen werden muss. Kosten: 900€
Daher hält man die Autos so klein und einfach wie möglich, ich denke unser Hotelbus ist eines der größten Fahrzeuge hier. Und der Rettungswagen natürlich, der die Verletzten oder Kranken zur Vaporettohaltestelle bringt, wo dann das Ambulanzboot den weiteren Patiententransport übernimmt.
Allgemein gilt, dass sich der Alltag auf der Insel nach den Vaporettozeiten richtet. Alles, was über das selbst Produzierte hinaus benötigt wird, muss mühsam mit dem Schiff gebracht werden. Es gibt zwar für die rund 700 Bewohner noch einen Greißler, aber dessen Sortiment ist sehr beschränkt.
Gemüse und Obst gibt es allerdings in Hülle und Fülle. So wie die Plantagen und Glashäuser aussehen, dürfte nur wenig oder eher gar kein Gift zum Einsatz kommen.
Noch auf dem Feld.Der gesellige Teil der Verarbeitung.Das Endprodukt.
Jedes Fleckerl ist landwirtschaftlich genutzt, Touristen gibt es fast keine. Zumindest nicht im herkömmlichen Sinne, denn am Wochenende bevölkert sich der kurze Sandstrand an der dem Mittelmeer zugewandten Seite der Insel mit hunderten Venezianeren, die hier Sonne und Meer und die einzige Bar weit und breit genießen. Man kommt entweder mit dem Vaporetto oder mit unzähligen kleinen Booten, die je nach Brieftasche mit mehr oder weniger starken bzw. lauten Antriebssystemen ausgestattet sind. Auch Muskelkraft kommt dann und wann zum Einsatz. Das Wasser ist ganz seicht, sich an die ausgesteckten Fahrrinnen zu halten, ist eine ziemlich gute Idee, sonst steckt man schneller fest, als man Ciao sagen kann. Und so, wie bei uns die Jugend mit den auffrisierten Mopeds herumdüst, zischt halt hier der hoffnungsvolle Nachwuchs per Boot zum Date oder ins Kaffeehaus am Lido. Meine Frage, wo die denn alle parken, ist noch nicht zu meiner restlosen Zufriedenheit geklärt.
Das Hotel bildet ein ideales Umfeld für unsere Fortbildung. Es hat nur 15 Zimmer und das viele Grün rundherum wirkt beruhigend oder auch anregend, je nachdem, was grad gefragt ist 🙂
Fortsetzung folgt, ich muss das 16 Uhr Vaporetto erwischen!
Hiermit beende ich – früher als gedacht – meine Blogabstinenz. Ich vermisse das Schreiben, die Eindrücke werden ja auch nicht weniger und wollen aus dem Kopf. Geschichten lauern außerdem hinter jeder Ecke!
Alberto saß mir im Zug zwischen Monaco und Ventimiglia gegenüber. Wir hatten für unsere Unterhaltung nur ganz wenig Zeit, ich erzählte, dass mein Reiseziel Venezia sei, woraufhin er ein Foto zückte, auf dem er als König verkleidet zu sehen war. Und zwar als echt beeindruckende Erscheinung.
Seit vielen Jahren schon fährt Alberto mit Freunden zum Karneval nach Venedig. Er ist war früher Kellner und Zeit seines Arbeitslebens sehr international unterwegs. Seit er in Pension ist, lebt er mit seiner Familie in Norwegen und kommt nur noch zwei Mal im Jahr nach Italien: im Sommer besucht er die Verwandtschaft und im Winter eben den Karneval.
Bereits im Herbst beginnen die Vorbereitungen. Eigentlich trägt Alberto nur ein kleines Oberlippenbärtchen. Das ist für einen ordentlichen König natürlich nicht ausreichend, weshalb er sowohl Bart- als auch Haupthaar sprießen lässt, bis es die nötige Imposanz erreicht hat. Der positive Nebeneffekt: er ist ein gefragter „Father Christmas“ und bessert sich durch diverse Buchungen seine Pensionskasse auf.
Seiner Wandlungsfähigkeit hat Alberto auch als Statistenrollen in Film- und Fernsehproduktionen zu verdanken, auch kein schlechter Pensionsjob!