23. Fensterl: Finale Furioso

10.00 Uhr:
Der Raum füllt sich langsam, die Besonderheit der Gäste verbreitet eine Magie, der ich mich nicht entziehen kann. So kompliziert sich viele im Vorfeld gebärdet haben, so ruhig und angenehm ist die Stimmung, wobei durchaus gespannte Erwartung spürbar ist. Wird es gelingen, die EU-Pläne zum Kippen zu bringen?

Anwesend sind bisher: Christkind, Weihnachtsmann, Knecht Ruprecht, Rudi Rentier, Nikolaus, Väterchen Frost, Pere Noel, Nisse, Julenisse, Tomte, Joulupukki, Santa Lucia, Father Christmas, Jouuvana, Reyes Magos und Bobbo Natale. Da fehlen noch einige, aber bis zum offiziellen Sitzungsbeginn um 11.30 Uhr ist ja noch gut Zeit.

10.15 Uhr:
In der Allee parkt tatsächlich der Coca-Cola-Truck, Santa Claus ist gekommen! Hurra!

10.30 Uhr:
Frau Holle flippt herum, sie ist hochgradig nervös. Erste Hilfe á la Sabine: wir kippen gschwind ein Glasl Prosecco. Liebe Frau Holle, Du schaffst das!

11.00 Uhr:
Befana, Sinter Claas, Caspar, Melchior und Balthasar machen mir ernsthaft Sorgen. Sie sollten längst da sein. Befana hat mir in der Früh aus Triest gemailt, dass das Schiff pünktlich angekommen ist. Wo seid Ihr?

11.10 Uhr:
Bei einem Blick aus dem Fenster in den Park, trifft mich fast der Schlag. Das kommt von schlechter Recherche! Ich dachte, Jólasveinar wäre der isländische Gabenbringer. Oh nein, Jólasveinar sind die 13 Söhne einer Riesin, die ALLE für Geschenke zuständig sind – mit Namen Stekkjastaur (Pferchpfosten), Giljagaur (Schluchtenkobold), Stúfur (Knirps), Þvörusleikir (Kochlöffellecker), Pottaskefill (Topfschaber), Askasleikir (Essnapflecker), Hurðaskellir (Türzuschläger), Skyrgámur (Quark Gierschlund), Bjúgnakrækir (Wurststibitzer), Gluggagægir (Fensterglotzer), Gáttaþefur (Türschlitzschnüffler), Ketkrókur (Fleischkraller) und Kertasníkir (Kerzenschnorrer). Sie kommen auf das Schloss zu, werden in wenigen Minuten eintreffen und ich habe zwölf (12!) Sitzplätze zu wenig! Ich stürme in den Planetensaal und donnere ein verzweifeltes „HILFE!“ in den Raum. Schlagartig verstimmt das Stimmengewirr. Schnell erkläre ich die missliche Lage, aber die heiligen Gestalten haben natürlich kein Problem. Väterchen Frost – gerade in ein sehr inniges Gespräch mit Santa Lucia vertieft – sieht mich liebevoll an. „Gehen Sie ruhig, junge Frau [ich liebe ihn!], wir machen das schon“. Ich stürme nach draußen und nehme die 13 neuen Gäste in Empfang. Die erste Krise ist gemeistert. Hoffentlich hat der Osterhase mir nicht gefolgt und den vielen Schinken storniert! Aber darum kann ich mich jetzt nicht auch noch kümmern.

11.20 Uhr:
Sie sind da! Sinter Claas hat Zwarte Piet mitgebracht, aber der eine Sessel mehr wird sich auftreiben lassen. Ich spüre erste Erschöpfungserscheinungen. Frau Holle muss ich dringend über die Erweiterung der Gästeliste informieren, damit sie beim Begrüßungsprotokoll keine Fehler macht.

11.30 Uhr:
Geschafft. Alle sind im Saal. Die schweren Türen schließen sich, ich bleibe draußen und harre der Dinge, die da kommen mögen.

12.00 Uhr:
Nichts dringt nach außen. Es ist ganz still.

12.30 Uhr:
Naja, es war ja nicht zu erwarten, dass sie sich so schnell einig werden. Geduld, Geduld.

13.00 Uhr:
Die Türe öffnet sich. Der Nikolaus muss auf´s Klo. Sein Pokerface, sofern überhaupt viel Face zu sehen ist, bei all dem Bart, lässt keine Schlüsse auf den Verlauf der Sitzung zu.

14.00 Uhr:
Es ist soweit. Man bittet mich in den Saal. Frau Holle kommt feierlich auf mich zu und überreicht mir ein Blatt Papier, auf dem genaue Anweisungen festgeschrieben sind.
Ein Name. Eine Telefonnummer. Ein Wort.

Der Name: Jean-Claude Juncker
Die Telefonnummer: 00 800 67 89 10 11
Das Wort: STREIK

Mir wird heiß und kalt. Die wollen jetzt aber wohl nicht wirklich, dass ICH dem Juncker drohe. Oh doch, das wollen sie und zwar alle. Einstimmig. Ihre entschlossenen Gesichter lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass ich tun muss, was getan werden muss.

Mit leicht zittrigen Händen wähle ich die Nummer und hoffe insgeheim, dass niemand abhebt. Es klingelt. Einmal, zweimal, dreimal…
„Juncker.“
„Guten Tag, Herr Juncker, mein Name ist Sabine Göritzer, ich bin gebeten worden, Ihnen etwas auszurichten.“

Man könnte eine Stecknadel fallen hören. Nur der Magen von Santa Claus knurrt ganz leise, sonst ist es gespenstisch still im Raum.

„Es geht um das Verfahren 2017/0338/CHR. Die europäischen Gabenbringer unter dem Vorsitz von Frau Holle haben …“
„Na endlich“, unterbricht mich der Präsident, „ ich dachte schon, dass mein Zettelchen nicht bei Ihnen angekommen ist!“
„SIE haben mir das Dokument zugespielt?“ frage ich erstaunt.
„Natürlich, das kann ich doch nicht zulassen und ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen!“
„Die Runde plädiert einstimmig für Streik und zwar ab sofort.“
„Sehr gut. Mailen Sie mir bitte ein Gruppenfoto und dann brauche ich noch zwei Stunden, Sie hören von mir.“

Blitzartig erfülle ich seine Bitte und dann beginnt erneut gespanntes Warten. Hoffentlich lässt er sich nicht zu lange Zeit, denn meine illustre Gesellschaft spricht derweil dem steirischen Weine zu. Am meisten süffelt die zutiefst erleichterte Frau Holle. Aber auch der Osterhase hat seinen Cateringauftrag mit Bravour erledigt. Ich bin echt stolz auf mein Team 🙂

17.00 Uhr:
Mein Handy klingelt und alles ist gut. Tosender Applaus lässt das alte Gemäuer erbeben, als ich verkünde, dass alles so bleiben kann, wie es ist.
Diese Feier wird heute wohl ein Weilchen dauern. Obwohl einige der Gäste morgen viel Arbeit haben!

2 Antworten auf „23. Fensterl: Finale Furioso“

  1. Unglaublich bezaubernd und unglaubliche Phantasie! Bravó!!! Hab mich wieder einmal königinnenhaft amüsiert! Schöne Nacht zum 24.12. Freu mich auf das Finale! 🌲🎁❤️🌲🎁❤️

    1. Danke, liebe Marlis! Habt auch einen wunderbaren Vorabend! Ich stehe genussvoll an den Kochtöpfen und freue mich auf meine Familie. 🔔🎉🎄🎆

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