Als ich die Kekse der Deutschen Bahn verkaufen musste,  um nicht zur Schwarzfahrerin zu werden. 

Es waren dramatische Szenen, die sich heute früh im Bus Nr. 6 Richtung Speicherstadt abspielten. Dabei hatte der Tag durchaus fast normal begonnen. Um 6.30 Uhr begab ich mich auf die Suche nach dem Pool, den das Hotel laut Beschreibung haben sollte. Gefunden habe ich ein SPA- Paradies, das meine geliebte John Harris Muckibude echt alt aussehen lässt. Total geflashed zückte ich mein Handy, um die Pracht für die Nachwelt fotografisch zu dokumentieren. Da stürzt aus dem Hinterhalt ein alter, nackter Besenstiel mit schwarz gefärbten Locken auf mich zu und keift mich an, dass fotografieren hier verboten sei. Sprach’s und verschwand türekleschend in der Biosauna. Auf den Schock hin musste ich zum Frühstück ein Croissant essen, das hat geholfen. 

Eine Stunde später im Bus, den ich brauchte, um pünktlich bei meiner Hafenrundfahrt zu sein. Ich hielt 20 Euro bereit, festen Willens, beim Fahrer eine Karte zu kaufen. 

Er sieht mich erwartungsvoll an.
Einmal bitte, sage ich brav. 
Was, fragt er.
Eine Karte.
WAS für eine Karte? 
Eine Einzelfahrt, präzisiere ich.
WOHIN? 
Speicherstadt (langsam wird’s!) 
Macht 3,40

Ich halte ihm meinen 20er unter die Nase,  die sich samt seinem Kopf verneinend hin und her bewegt.  
Kein Wechselgeld. 
Da fällt mir auf, dass auf den erstens beiden Plätzen, direkt hinter dem Fahrer, zwei Personen sehr verständnisvoll ihre Nasen auf und ab bewegen. Wir sitzen hier auch schon ohne Karte, weil wir auch nicht genug Kleingeld haben! Ich sage zum Fahrer, jetzt ist’s eh schon wurscht, er soll mal losfahren mit uns drei Schwarzfahrern, was er brav macht.
Wir besprechen die weitere Vorgehensweise und die beiden Einheimischen kommen zu dem Schluss, dass ich als Ausländerin jedenfalls eine Karte brauche. Wir legen alle unsere Münzen zusammen und schaffen tatsächlich die 3.40, als Gegenleistung kann ich nur die gestern von einem Schaffner großzügig verteilten Kekse der Deutschen Bahn anbieten, die gern angenommen werden. 

Wir diskutieren dann noch drei Stationen lang, ob man Schwarzfahrer noch sagen darf, aber das ist eine andere Geschichte. 

Ist da noch frei, eh?

Nürnberg Hauptbahnhof. Der Zug nach Berlin fährt ein und ich ergattere einen Platz 1. Klasse in einem Sechserabteil. Nur eine junge Frau sitzt schon da und beschäftigt sich intensiv mit ihrem Tablet. Mein 14-Kilokoffer muss leider stehen bleiben, so stark bin i nimmer, dass ich ihn auf die Gepäckablage hieven kann. Der Zug fährt schon an, als es auf einmal sehr lebendig wird: zwei junge Männer, deutlich unter 30, entern unsere Beschaulichkeit. Typ 1, blonder Nachwuchsdeutscher, schlaksig, schwarze Kunstlederjacke, intakte Jogginghose. Spricht nicht, schaut freundlich, netter Kumpel. Sein zusammengeklappter Riesenroller wird uns die nächsten zwei Stunden lang im Weg sein. Typ 2, der Alpha in dem Zweiergespann. Migrationsvordergrund. Hoodie, offen getragen, darunter nichts als gut gebräunte Hühnerbrust, Kaputze und ein an der Hand festgewachsenes Handy. Jeans mit Löchern.  Papiersack voll mit Bierflascherln.

„Ist da noch frei, eh???“ fragt Kaputze.

Ich: „Ähm, ja, klar,  aber ich weiß nicht…  ist erste Klasse.. “

Kaputze grinst zufrieden, wuchtet meinen Koffer nach oben und öffnet noch im Hinsetzen das erste Bier. Ich denke mir, das könnte ein Blogbeitrag werden. Kumpel schläft nach 7 Sekunden und Kaputze beginnt auf sein Handy einzureden. Blitzartig taucht der Schaffner auf und siehe da, Kumpel und Kaputze haben tatsächlich 1. Klasse gebucht. Ich schäme mich ein bisschen. 

Bier 2 wird mit Hilfe von Bier 3 geöffnet (spannende Technik!) und prompt fällt eine Flasche in den Sack zurück, lauwarme Bierspritzer zischen durch’s Abteil, ich habe Glück und bleibe verschont (die Tablet-Dame hat uns derweilen schon verlassen gehabt). Fuck! schreit Kaputze und weckt Kumpel auf. Interessanterweise nennen sich die beiden gegenseitig Dicker, was eher wie Digger klingt. Sorgfältig wird unsere Bleibe gesäubert, als Belohnung dürstet es Kaputze nach Bier Nr. 3 und einem Kaffee. Er fängt den Schaffner herunter und ordert. Nicht ohne für mich mitzubestellen. Die ehrenvolle Aufgabe, unsere drei Kaffees zu bezahlen,  wird an Kumpel delegiert, das Wechselgeld wiederum kassiert Kaputze, der beginnt, sich für mich zu interessieren. 

Wo ich denn herkomme? Graz. Aha, stellt er fest, also fährst du nach Hause (mit dem Zug nach Hamburg :-). Nächste Frage. Wo ist dein Mann, eh?  Oder hast du keinen? Ich schäme mich schon wieder, so unbemannt zu sein geht offenbar gar nicht, also lüge ich ihm was vor. Kaputze ist’s zufrieden und bereit für meine Gegenfragen. 

Eigentlich sind sie auf Montage,  fahren nur zum Chef Geld holen. Bevor ich das Thema vertiefen kann, betreten drei junge Frauen unser Reich. Sofort wird es ganz still. Trauriges Schweigen bis Halle, wo alle fünf sich zum Ausstieg bereit machen. Da passiert plötzlich Unerwartetes: eine der jungen Damen zückt eine Visitenkarte und hält sie Kumpel unter die Nase. Vielleicht magst mir mal auf Insta schreiben, fragt sie. Kumpel reagiert panisch und total abweisend. Sie zuckt mit den Schultern und verschwindet Richtungen Ausgang. Die beiden Männer sehen mich hilflos an: was will die, was hatte sie da? Ich erkläre, wie Kontaktaufnahme zwischen Mann und Frau…  Kaputze schreit Kumpel an, geh, renn ihr nach, Oida, das ist deine Chance, du Jungfrau. Die „Jungfrau “ reagiert erwartungsgemäß:  lass mich in Ruhe, ich hau dir in die Fresse, eh! Kaputze stürmt davon, um sich heldenhaft und unbedankt für seinen Freund ins Zeug zu schmeißen. Warte, brüllt er dem Mädchen nach, und ward nie wieder gesehen. 

Kumpel seufzt resignierend, rafft schnell alle Habseligkeiten samt Roller zusammen und sagt zum Abschied zu mir: Auf Wiedersehen, schöne Frau.  

In einem Großraumwaggon wäre mir das nicht passiert.  Ich hasse Großraumwaggone. 

Ich habe eine Blogade.

Aber das ist doch kein Beinbruch, höre ich Sie sagen, ich soll doch aufstehen, meine Krone richten und weitergehen! Was für eine bescheuerte Idee, wenn doch aufstehen nicht geht und die Krone zu Hause liegt, weil wer nimmt schon die Krone mit auf Ausflug, ja wer bitteschön?! Wenn man doch vor dem Ausflug nicht wissen kann, dass es das jetzt war mit dem trauten Heim für mehrere Wochen, denn wenn man das gewusst hätte, wäre die Ausstattung für den Ausflug deutlich umfangreicher gewesen. So wird zum Beispiel der Erdäpfelschäler gerade schwer vermisst, er hat einen Fixplatz im zukünftigen Ausflugsgepäck, der Gute. Das ist jammern auf hohem Niveau, höre ich Sie sagen, dabei ist mein Niveau gerade extrem niedrig, Schulterhöhe vielleicht 1.20 m. Wie ein kleines Reh, also ein Bambi quasi, da könnte ich doch endlich beginnen, mein Buch zu schreiben. Denn den Titel hätte ich schon: Der Tag, als die Bambi-Blase platzte. In Englisch: The big bambi bubble bang. Super, oder?

Andere haben einen neuen Lebensgefährten…

… ich leiste mir gleich drei!
Gestatten, dass ich vorstelle: Rolli, Tschüss und Tschau. Meine drei Süßen, die mich bereits seit mehreren Wochen begleiten und wohl auch nicht so schnell verlassen werden. Warum ich sie Euch erst jetzt vorstelle? Ich sage nur, die erste Verliebtheit, seufz. Wer denkt da schon ans Bloggen, wenn man sich grad kennenlernt. Und neue Körperteile habe ich auch aufzuweisen – was nicht so alles passieren kann in derart kurzer Zeit, eigentlich unfassbar.
Soweit mein erster Einblick in die neuen Umständ, Details folgen. Und ein kurzer Abriss dazu, was bisher geschah, wie wir uns kennengelernt haben, ist auch in Vorbereitung.

Echt schräg

Zu den treuen Begleitern meiner Adventzeit seit vielen, vielen Jahren gehört der Vorsatz, nicht nur nicht zuzunehmen, sondern so diszipliniert zu sein, dass ich am Heiligen Abend genauso rank und schlank da stehe, wie meine ranke und schlanke Weihnachtstanne. Interessanterweise habe ich trotz umfassender Bemühungen dieses Ziel aus vollkommen unbekannten Gründen nie erreicht und trotzdem gebe ich nicht auf.
Mit zunehmendem Alter wird`s noch dazu immer schwieriger und so habe ich heuer beschlossen, mich nicht nur auf die anscheinend eh sinnlose Kontrolle meiner Ernährung zu fokussieren, sondern auch noch den Faktor Bewegung in meine Überlegungen einzubeziehen. Bekanntlich ist der Besuch einer Foltereinrichtung derzeit nicht möglich, weshalb ich meine Aktivitäten auf ein oranges Etwas – Länge 1,50 m, Breite 60 cm – verlagert habe und damit auch die notwendige Effizienz gegeben ist, lasse ich mich von einer jungen Dame namens Gabi Fastner begleiten. Sie ist ihres Zeichens Fitnesstrainerin und bietet auf youtube eine wunderbare Palette an Möglichkeiten an, einfach alles zu trainieren, was an unserem Körper – fitnesstechnisch gesehen – trainierbar ist. Bauch, Beine, Popsch, Koordination, Gleichgewicht, Ausdauer, Kraft… und, und, und…

Letztens turnte ich also mehr oder weniger fröhlich vor mich hin, als Gabi eine Übung ansagte, die sehr gut für die schräge Bauchmuskulatur sein. Man lege sich auf den Boden, ziehe die Beine in die Höhe – so im rechten Winkel abgewinkelt, Ihr wisst schon – verschränke die Hände hinter dem Kopf und bringen dann den rechten Ellbogen zum linken Knie. Und zwar, erraten, mit Hilfe der schrägen Bauchmuskeln. Ambitioniert bringe ich meine Extremitäten (langsam verstehe ich, warum die Teile so heißen) in Startposition. Und dann passiert: nichts. Ich liege auf der Matte wie festgetackert. Ein tiefes Zornesgrollen, alle Kräfte zusammengenommen… Wieder nichts. Das kann nicht sein. Schillers Glocke fällt mir ein:
Fest gemauert in der Erden
Steht die Form aus Lehm gebrannt
Hätte er prophetisch mich gemeint, würde er geschrieben haben „liegt die Form“. Diese Einsicht tröstet mich herzlich wenig. Weitere Überlegungen, während Gabi im Hintergrund verkündet: noch 10 Mal, 9… 8… 7… Kann es sein, dass es sich bei mir um eine anatomische Anomalie handelt? Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen schmeiße ich Gabi aus meinem Smartphone und google „Mensch ohne schräge Bauchmuskeln“. Das Ergebnis lässt mich ratlos zurück: keine Treffer! Ich bin ein Wunder! Schaffe ich es so in das Buch der Rekorde? Erschrocken über meine Oberflächlichkeit, versuche ich die Konsequenzen zu erfassen und, lösungsorientiert wie ich nun mal bin, auch schon eventuelle Reparaturmöglichkeiten in Erwägung zu ziehen. Vielleicht lassen sich die Dinger ja transplantieren? Hat jemand von Euch schräge Bauchmuskeln abzugeben? Es gibt doch auch Menschen mit drei Nieren! Andererseits, wer braucht schon im Alltag die Fähigkeit, im Liegen bei grauslichen Verrenkungen mit den Ellbogen kreuzweise zu den Knien zu gelangen. Niemand. Erleichtert rolle ich die Matte zusammen und esse ein paar Kekse zum Frühstück. Ist ja immerhin Advent!

Nur für Euch!

Mittwoch, 22.00 Uhr: ein letzter Blick auf die Wetterprognose lässt erahnen, dass ES möglich sein wird. Vielleicht und hoffentlich. Die Aufregung macht es mir schwer, einzuschlafen, irgendwann falle ich dann doch in leichtes Dösen.

Donnerstag, 02.00 Uhr: Das Ergebnis der Kontrolle ist verheißungsvoll!

05.15 Uhr: Auf mit mir! Schnell packe ich zusammen, ein Schluck Kaffee noch und um 05.39 verlasse ich die Wohnung. Ein letzter Blick zurück… Der Weg zum Einstieg geht sanft bergauf, genau richtig um einen Rhythmus zu finden. Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen. Es ist still und dunkel, ich genieße die ungewohnte Ruhe. Schnell wird es jetzt steil, in der ersten Kehre steht ein Wegkreuz. Erinnert es an ein Unglück oder wurde es von einem dankbaren Gläubigen aufgestellt? Egal, meine Gedanken fokussieren auf meinen Körper. Die kalte Luft, die ungewohnte Anstrengung beschleunigt meinen Atem, die Pulsuhr habe ich vergessen. So muss ich mich auf mein Gefühl verlassen. Nur nicht überanstrengen. Die Kälte lässt die Lunge schmerzen. Einatmen. Ausatmen. Nur für Euch. Einatmen. Ausatmen. Nur für Euch.

Es ist fast geschafft. Die letzten Meter noch, dann öffnet sich das Plateau und plötzlich weiß ich, warum ich all diese Strapazen auf mich genommen habe. Nur um Euch dieses Bild präsentieren zu können, den ersten Adventschnee auf den Dächern von Graz seit 10 Jahren…. Nur für Euch… Seht selbst…

Fortsetzung folgt… versprochen…

liebe sabine,
> ich habe ja wirklich gaanz viel nachsicht mit dir weil ich dich echt
> maaag. aber jetzt ist schluss mit verständnis! zumindest den advent
> möcht ich von dir eingeläutet bekommen. bitteeeeee. ein klitzekleines
> foto von einem klitzekleinen keksi würd schon reichen oder ein kugerl
> oder kerzerl oder sonstiges herzerwärmendes …
> ich drück dich!
> lg
b.

Halbtage 3 und 4

Dieser Tag lässt sich mit einer Frage zusammenfassen: Wo ist mein Not-Aus-Knopf? Immerhin habe ich 15 Minuten gelesen. Das bedeutet, ich bin eine Viertelstunde fast regungslos auf der Couch gelegen. Hurra.

Vom Nichtstun – eine Selbstbeobachtung über vier Tage. Der Beginn.

Ein katholischer Feiertag in Kombination mit dem Tag des Rektors verschafft mir vier freie Tage, die ich dringendst zum Nichtstun brauche. Aber schaffe ich es, diesen Zustand der erholsamen Langeweile, des gepflegten Dösens oder maximal anstrengungslosen Spazierens über einen solchen Zeitraum zu halten? Mein Geist, mein Körper, jede Faser sehnt sich danach: ENDLICH Nichtstun (NT)! Damit ich mehr davon habe, teile ich die vier Tage in Schnittchen von acht Halbtagen, das klingt gleich noch ergiebiger. Zur Selbstdisziplinierung teile ich meine Erfahrungen mit Euch!

Halbtag 1 beginnt vielversprechend, ich blicke wohlig in 24 Stunden gähnende Leere. 23 Minuten Cardio-Yoga (jawollll, so etwas gibt es!), noch vor sechs Uhr morgens, das zählt nicht, außerdem muss man den vom Vorabend erschöpfungsbedingt übriggelassenen Sauhaufen in der Küche beseitigen, denn süßes NT erfordert ein gepflegtes Umfeld, weshalb die in Eierkartons vor sich hinkümmernden Pflänzchen pikiert werden. Auch sie sollen es schön haben an diesem ruhigen, verlängerten Wochenende. Mittlerweile ist es schon fast 10 Uhr und ich eile (uuuups) auf den Golfplatz, um pünktlich eine sportliche Runde mit B und A zu drehen. Der Müll entsorgt sich unterwegs quasi von alleine! Am Heimweg husche ich beim Zwutschki vorbei, der das mit der Entspannung deutlich besser beherrscht als ich. Aber mir bleiben ja noch 7 8tel der Zeit zum Üben.

Halbtag 2 (Datumsgrenze: 14 Uhr) dient der Lernerfahrung. Kochen, dass die Töpfe fliegen, Salat wird geschnipselt und so weiter und so fort. Ich habe in der Expertise eines Virologen gelesen, wie ungesund es sein soll, so von 100% auf Null zu schalten. Besser über aktive Erholung – z.B. Staubsaugen – ins NT gleiten, sonst ist die körperliche Unversehrtheit in Gefahr! Aber ein Lob kann ich schon ausfassen: ich lese keine E-Mails am Computer, nur am Handy und ich beantworte auch nur 2. Und schreibe ein Dienst SMS, aber das ist echt wichtig. Ehrlich. Morgen wird es schon besser gehen, versprochen. Leider muss ich jetzt aufhören, sonst zerknittert die Wäsche, wenn sie zu lange in der Waschmaschine liegt und außerdem muss ich noch eine zweite Ladung…